Wenn du durch den Sucher deiner Kamera schaust, offenbart sich dir eine Welt, die du auf einzigartige Weise interpretieren und festhalten kannst. Ein fantastisches Hilfsmittel für einzigartige, kreative Kompositionen ist die Verschlusszeit. Mit ihr kannst du die Zeit anhalten, tanzende Lichtspuren in der Dunkelheit einfangen und Dinge sichtbar machen, die für das freie Auge nicht sichtbar sind.
Die Verschlusszeit ist ein magischer Schlüssel zu visuellen Effekten. 

Bist du bereit, deine Sichtweise zu verändern und dich von der Magie der Verschlusszeit in den Bann ziehen zu lassen?

Was ist die Verschlusszeit?

Beginnen wir einmal mit der grundlegenden Frage, was genau die Verschlusszeit, auch Belichtungszeit genannt, ist. Sie ist eine der drei Belichtungsparameter des Belichtungsdreiecks und sie entscheidet darüber, wie lange der Verschluss der Kamera geöffnet ist, um Licht auf den Sensor zu lassen. 
Stell dir vor, du stehst morgens auf und machst den Vorhang ganz kurz auf und wieder zu. Da kommt nur wenig Licht ins Zimmer. Wenn du den Vorhang aber lange aufmachst, flutet viel Licht herein. 

Die Verschlusszeit ist entscheidend bei der Kontrolle von Bewegungen in deinen Fotos. Längere Verschlusszeiten erzeugen eine Bewegungsunschärfe, während kurze Verschlusszeiten Bewegungen einfrieren und statisch erscheinen lassen.

Kurze Verschlusszeiten

Kurze Verschlusszeiten sind Bruchteile von Sekunden wie zum Beispiel 1/500 Sekunde oder 1/1000 Sekunde. Zum Vergleich: Der Mensch blinzelt im Schnitt mit einer Zeit zwischen 1/100 und 1/400 Sekunde. 

Mit kurzen Verschlusszeiten lassen sich Bewegungen einfrieren. Ob das der Vogel im Flug ist oder das Kind, das am Spielplatz schaukelt oder einfach nur ein Mensch, der gestikulieren spricht. Das alles sind Bewegungen. 

Ich werde sehr oft gefragt: Welche Verschlusszeit stelle ich denn ein, wenn ich eine Bewegung einfrieren möchte? 

Die Antwort: Es kommt darauf an – auf die Geschwindigkeit des Motivs. 

Ich zeige dir hier gleich mal zwei Beispiele, damit du ein besseres Gefühl und Verständnis für Bewegungen und Verschlusszeiten bekommst.

Dieses Foto habe ich mit einer Verschlusszeit von 1/400 Sekunde aufgenommen. Das ist für schnelle Bewegungen oftmals noch zu lang. Du siehst hier, dass der entscheidende Teil, die Schnäbel, gerade noch scharf sind, während der Flügelschlag und der Fisch eine Unschärfe zeigen. Der Fisch dürfte meiner Ansicht nach schärfer sein. Die Unschärfe des Flügels bringt Dynamik ins Bild und stört hier gar nicht.

Pelikane fangen einen Fisch mit Erklärung von Verschlusszeit

Im Vergleich dazu habe ich hier ein Bild des Pelikan bei der Landung – aufgenommen mit 1/2000 Sekunde Verschlusszeit. Hier ist alles schön scharf, sogar die Flügel in der Bewegung.

Ein Pelikan bei der Landung mit Verschlusszeit 1/2000 Sekunde

Das Spannende an der Verschlusszeit ist, dass du den Grad der Schärfe steuern kannst. Du bestimmst, ob der Flügel komplett scharf sein oder vielleicht doch eine kleine Unschärfe Dynamik ins Bild bringen soll. 

Lange Verschlusszeiten

Von langen Verschlusszeiten sprechen wir bereits ab 1/30 Sekunde. Richtig lange Belichtungszeiten bedeuten jedoch Zeiten jenseits des Sekunden-Markers, ja sogar Minuten. 

Hier kommt die Kreativität ins Spiel und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Am besten erfährst du in verschiedenen Beispielen, was alles möglich ist und wie sich unterschiedliche Verschlusszeiten auf den Effekt auswirken.

Der Klassiker: Wasser mit langer Verschlusszeit glatt bügeln.
Hier siehst du den Canal Grande von Venedig mit 152 Sekunden schön weich und glatt. Je stiller das Wasser ohnehin schon ist, desto glatter wird es, wenn du lange belichtest. In meinem Guide “Langzeitbelichtung unter Tags” erfährst du, wie genau du das machst. 

Langzeitbelichtung von Venedig

Wenn die Wolken am Himmel schnell ziehen, kannst du einen coolen Wischeffekt erzielen. Mit freiem Auge wäre dieser Effekt niemals sichtbar gewesen – die lange Verschlusszeit lässt ihn wie Magie erscheinen. Dieses Bild wurde 173 Sekunden lang belichtet. 

Polignano a Mare zum Sonnenaufgang mit ziehenden Wolken

Kommen wir aber zu etwas mehr Kreativität.
Dazu greife ich auf meine Pelikan Bilder zurück, denn da habe ich experimentiert, was das Zeug hielt.

Nachdem ich hunderte Pelikane bei der Landung scharf eingefangen habe, wollte ich ganz bewusst artistischer werden. Und so habe ich mich bei der Belichtungszeit auf ca. 1/20 eingependelt und die Pelikane bei ihrer Landung auf dem Wasser fotografiert.
Der Effekt ist je nach Geschwindigkeit jedes Mal anders

Pelikan bei der Landung mit langer Verschlusszeit fotografiert
Verschlusszeit: 1/25 Sekunde
Pelikan bei der Landung mit langer Verschlusszeit fotografiert
Verschlusszeit: 1/20 Sekunde

Was ich persönlich auch sehr cool finde, ist dieser Effekt: Die Pelikane schwimmen vor dem Boot und lauern auf den Fisch. Wird der Fisch geworfen, stürzen sie alle gleichzeitig mit offenen Schnäbeln drauf. Das habe ich mit einer Verschlusszeit von ⅛ Sekunde festgehalten.
Hier ist nichts mehr scharf, jedoch ist die Szene noch immer gut erkennbar und regt die Fantasie an.

Pelikane warten auf den Fisch. Fotografiert mit langer Verschlusszeit

Eine weitere Steigerung der künstlerischen Kreativität ist die Verwendung eines Blitzes. Bei diesem Foto habe ich einen Blitz mit der geringsten Leistung (1/128) verwendet und die Verschlusszeit auf 1/40 Sekunde eingestellt. Die Bewegung der Pelikane ist nicht ganz scharf, aber auch nicht komplett unscharf. Die Wassertropfen bekommen durch den Blitz eine schöne Leuchtkraft und unterstreichen hier auch noch einmal die Dynamik. Die ganze Szene lebt natürlich von den schönen Farben der Morgenstunde. 

Pelikane fangen den Fisch. Fotografiert mit Blitz und langer Verschlusszeit

Bei diesem Bild hier macht sich der “Geistereffekt” breit. Mit 1/40 Sekunde Verschlusszeit und Blitz ergibt sich in der Bewegung dieser coole Effekt, der bestimmte Teile des Bildes teilweise durchscheinend darstellt.

Pelikane warten auf den Fisch. Geistereffekt im Bild

Abschließende Tipps

Am liebsten würde ich dir noch hunderte Pelikan-Foto-Experimente zeigen. Aber am besten ziehst du selbst los und testest die unzähligen Möglichkeiten, die du mit deiner Kamera hast. Suche nach einem Teich oder einem See mit Enten oder Reihern. Achte darauf, bei schönem Licht dort zu sein. Schönes, gutes Licht hast du meistens in den Morgenstunden. 

Achte beim Fotografieren auf eine stabile Halterung, um Verwacklungen zu minimieren, wenn du klare, scharfe Bilder erzielen möchtest.

Experimentiere mit verschiedenen Einstellungen und Szenarien – du wirst sehen, mit jedem Bild lernst du, was alles möglich ist und wie sich Bewegung und Zeit auf die Effekte auswirken. 

Last but not least: Hab Geduld. Geduld ist der Schlüssel zu fantastischen Bildern. Lass dir Zeit und komm lieber mit weniger Bildern nach Hause, aus denen du ein paar gute auswählen kannst.

Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Experimentieren.