In Tirol gibt es 18 Männer und 70 Frauen, die 100 Jahre oder älter sind. Österreichweit sind es 1.148 Menschen. Der Steinbichl Sepp aus Alpbach ist einer davon. Ein Original mit Humor mit 100 Jahren, einem bewegten Leben und nur einem Wunsch.

Es hat mich nicht viel Überredungskunst gekostet, den Sepp auf eine Alm in Alpbach zu entführen, um mit ihm über sein Leben zu reden. Mit seinem blauen „Schurz“ (dt. Schürze) und seinem Sonntagshut hat er wie vereinbart in seinem Zuhause in Radfeld schon auf mich gewartet. Die Katzen musste er noch schnell füttern.

Geboren wurde Sepp im März 1917 auf einem Bauernhof in Inneralpbach als einer von 7 Kindern. Seine Mutter starb bei der Geburt seiner Schwester, als Sepp gerade einmal ein Jahr alt war. Es waren schon rauere Zeiten damals, als noch relativ viele Frauen bei der Geburt ihrer Kinder starben. Sein Vater hat insgesamt drei Frauen innerhalb von 15 Jahren verloren.

Vielleicht hat das ganz tief in ihm gesteckt, sodass der Sepp gleich gar nicht geheiratet hat. Eine hätte ihm schon gefallen. Ihr hat er immer mal einen schönen Almrosenstrauß geschenkt, aber mehr hat sich nicht ergeben. Er hätte zu lange überlegt und ist für sich nie auf einen grünen Zweig gekommen. Auf meine Frage, ob er vielleicht ein wenig anspruchsvoll war, meinte er mit einem frechen Lachen, dass man ja jede auch nicht haben kann. Ich habe das Gefühl, dass er mir in Sachen Frauen nicht alles verraten hat… 😉

100 genuine years and a wish

Nach der Schule hat Sepp zuhause am Hof mitgearbeitet, bis er dann mit dem Weben begonnen und als Weber gearbeitet hat. Wieviele Kilometer Leinen er in seinem ganzen Leben gewoben hat, kann er nicht einschätzen, aber „es dürfte schon nicht so wenig gewesen sein“. Die Liebe zu den Tieren und der Arbeit am Bauernhof war aber immer vorrangig und so war es für ihn ganz normal, jeden Sommer auf der Alm zu verbringen. Meistens alleine. Da hat er sich schon ab und zu gedacht, dass es schön wäre, wenn ein Weiberleit (dt. eine Frau) da wäre. „Wir hätten allerhand zu reden gehabt“.

Sepp war bis vor 2 Jahren jeden Sommer auf seiner geliebten Alm. Zum Schluss hat er schon weniger gearbeitet als früher, war aber noch als Putzer tätig (Anm. ein Putzer sorgt beispielsweise dafür, dass in den Almwiesen keine Steine liegen oder macht die Regenrinnen frei).

Ich musste ihn natürlich nach dem Krieg fragen. Ein Thema, das mich nach wie vor berührt und interessiert. Sepp musste am 31.7.1941 einrücken. Er und seine Kameraden hatten einen „Mords-Spundus“. Aber Sepp hatte Glück: Nach 17 Tagen durfte er nach Hause gehen – wegen seines Sprachfehlers. Viele seiner Kameraden sind leider nicht mehr zurück gekommen.

Auf meine Frage, ob ihm irgendetwas Angst macht oder er sich vor irgendetwas fürchtet. Da hat er mich ganz entgeistert angesehen und mich gefragt, wovor er sich denn schon fürchten soll.

Ich hätte Haus und Hof verwettet und behauptet, Sepp wäre noch nie in seinem Leben gereist. Das wäre jetzt schlecht für mich… Er war schon zweimal in Wien, in Rom, in Fatima und in Isreal. Das Baden im Toten Meer hat ihm Spaß gemacht, aber zu weit wollte er nicht schwimmen, denn er hatte dann doch die Sorge, dass so ein „Teifl“ daherkommt. Ob er da wohl ein Krokodil gemeint hat?

Sepp ist mit seinen 100 Jahren nach wie vor körperlich und geistig ziemlich fit. Sein Geheimnis? Ziegenmilch, jeden Tag. Und die Alm. Und er geht zweimal am Tag in die Kirche zum Beten.

100 genuine years and a little wish

Zum Schluss habe ich ihn gefragt, was er sich wünschen würde, wenn er einen Wunsch äußern dürfte.

„Dann würde ich mir wünschen, noch einmal ein Almerer-Leben zu führen, weil es einfach so schön ist.“

Auch wenn du, lieber Sepp, diesen Artikel wohl eher nicht lesen wirst, danke ich dir ganz herzlich für diesen wundervollen, amüsanten Tag mit dir. Ich wünsche dir, dass du noch lange gesund und fit bleibst und viele schöne Momente erleben darfst.

Sepp ist am 25. Jänner 2021 103-jährig friedlich eingeschlafen.

„Sepp war für uns alle beim Gassner mehr als ein (Leih)- Opa, er war mehr wie ein Vater Opa und eine Mama zu gleich“. – Sebastian Haberl

*Stand 2017, Quelle Statistik Austria

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